„Man muss unbedingt aus der Vergangenheit lernen und darf nicht die gleichen Fehler wiederholen.”

Hans Widmer wird 1922 als Sohn eines Lehrers im Appenzeller Land geboren. In seinem Dorf gibt es viele Arbeitslose, weil der Textilexport zu dieser Zeit stagniert. Seine Familie wird um den Lohn des Vaters beneidet. Als Schüler ist Hans Widmer ehrgeizig und sprachlich begabt. Während der Zeit am Gymnasium verdient er sich Taschengeld dazu, indem er für reiche Mitschüler Aufsätze schreibt.
Wie der Vater wird er ebenfalls Lehrer. Nach seiner Ausbildung zum Sekundarschullehrer an der Universität Zürich findet er eine Festanstellung an einer Sekundarschule im Kanton Baselland, wo er Sprachen und Geschichte unterrichtet. Nach 12 Jahren wechselt er an die Berufe und Frauenfachschule in Basel. Er wird Vorsteher der Abteilung Gewerbliche Berufsschule und fungiert als Bindeglied zwischen Schule und Lehrbetrieben. Zu dieser Zeit lernt er seine spätere Ehefrau kennen, mit der er sein Leben lang glücklich verheiratet bleibt.
Hans Widmer wird im Laufe seines Lebens Zeuge von tiefgreifenden sozialen Veränderungen und historischen Ereignisse, die ihm im Gedächtnis bleiben. Zum Beispiel den Generalstreik von 1948, der mit militärischen Ausschreitungen und tragischen Verlusten verbunden ist. Oder die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs: So erinnert er sich sehr detailliert an den Tag des Waffenstillstandes am 1. Mai 1945. Als Student erlebt er das Ende der Nazizeit und das kollektive Aufatmen nach dem Krieg. Er beschreibt das Jahrzehnt nach dem Krieg als eines der besten seines Lebens.
100-jährig zu werden war nie ein persönliches Ziel von Hans Widmer. Das Leben ist für ihn ein Geschenk und er habe stets versucht, das Beste daraus zu machen. Trotz aller Herausforderungen bewahrt er sich seine optimistische Lebenseinstellung, seine tiefe Verbundenheit zur Natur und seine Leidenschaft für Literatur. Widmer ernährt sich ausgewogen, lebt seit jeher ohne Exzesse und hat sich immer viel bewegt. Mit dem Blick auf den Säntis aufgewachsen, hat er eine grosse Liebe für die Berge. Zusammen mit seiner Ehefrau hat er jede erdenkliche Wanderung in der Schweiz gemacht.
Das ganze Leben sei eine Reihe von Lektionen, meint Hans Widmer und betont, dass er immer schon sein Wissen weitergeben wollte. Zu einer kleinen Gruppe von ehemaligen Schülern aus der Sekundarschulzeit hat er heute noch regelmässigen Kontakt und trifft sich einmal im Monat zu Gedankenaustausch und Mittagessen.
Auch im hohen Alters hält er sich über das Weltgeschehen und den Klimawandel auf dem Laufenden und sorgt sich um die Zukunft seiner beiden Töchter. Als 100-Jähriger habe er schon viele Veränderungen miterlebt und weitere sind zu erwarten. Aus Erfahrung kann er nur raten, dass man flexibel und offen mit den Veränderungen der Welt «mitrudern» soll, sich aber auch gegen Veränderungen wehren muss, die nicht gut sind. Unbedingt sollte man aus der Vergangenheit lernen und nicht die gleichen Fehler erneut begehen.



