Unser Projekt

Die Schweiz bildet im 20. Jahrhundert eine der bedeutendsten Drehscheiben für internationale Literatur. Zwischen 1914 und 1991 gelangt eine Fülle literarischer Werke – vermittelt durch historiografisch noch unsichtbare Akteur*innen – in die Schweiz, wo diese verlegerisch bearbeitet und dann auf andere Buchmärkte weiterverbreitet werden. Das gilt für den modernen Roman (H. Broch, W. Faulkner, J. Joyce), die Lyrik der Avantgarde (G. Benn, E. Pound), aber auch die Unterhaltungsliteratur. Es sind die Weltkriege mit ihren humanitären (Exil) und wirtschaftlichen Auswirkungen, die Tradition der Schweiz im Transithandel sowie ein vom Staat nur wenig beeinflusstes Verlagswesen, in deren Folge sich dieser Umschlagplatz ausbilden konnte. Weder die Verlags- noch die stark nationalstaatlich ausgerichtete Literaturgeschichtsschreibung haben diesem Phänomen bisher angemessen Rechnung getragen. Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, ein genaueres Verständnis der Funktionsweisen wie auch der literatur- und verlagsgeschichtlichen Folgen der verlegerischen Drehscheibe Schweiz zu entwickeln sowie die erste vollumfängliche Bibliografie von internationaler Literatur in Schweizer Verlagen 1914–1991 zu erstellen. Es ist dabei von der These geleitet, dass Schweizer Verlage im 20. Jahrhundert früh als Instanzen der Internationalisierung von literarischer Kommunikation gewirkt haben und dass deren Untersuchung nicht zuletzt grundsätzliche Aufschlüsse über die transnationale Zirkulation von Literatur verspricht, wie sie zuletzt unter dem Begriff einer ›Globalgeschichte der Literatur‹ erforscht wird. Die allgemeine Frage des Projekts lautet, wie Verleger*innen den Möglichkeitsraum Schweiz genutzt haben: Welche Korpora und Formate wurden geschaffen, welche ästhetischen und verlegerischen Impulse damit gesetzt und welche Netzwerke gebildet? Um diese allgemeine Frage sinnvoll bearbeiten zu können, wird das übergeordnete Projektziel in drei Teilprojekte gruppiert, die historischen Fallstudien entsprechen und in denen auf der Basis von Verlagsarchiven grundsätzliche Mechanismen und Effekte dieser Drehscheibe herausgearbeitet werden: Teilprojekt 1 Weltliteratur machen fragt nach den Strategien der Kanonisierung internationaler Literatur, die zwischen 1914 und 1950 verfolgt wurden. Teilprojekt 2 Wiederentdeckung der literarischen Moderne untersucht die Netzwerke und Verbreitungsmuster, die für die Wiederentdeckung der Moderne zwischen 1945 und 1966 verantwortlich zeichnen. Teilprojekt 3 Das verlegerische Gedächtnis der Schweiz rekonstruiert, wie personelle Kontinuitäten im Verlags- und Agenturwesen dazu führten, dass die Drehscheibe auch nach dem Krieg, 1952–1991 in Bewegung blieb. Um die vorgesehenen Ziele zu erreichen, verfolgt das Projekt verschiedene Methoden: Alle Teilprojekte verbindend ist die Analyse von Quellen aus Verlagsarchiven entlang der Fragen nach den Netzwerken und Übertragungslinien der Drehscheibe Schweiz sowie der konzeptuellen Genese verlegerischer Projekte. Diese Vorgehensweise wird je nach Teilprojekt durch einen buchwissenschaftlichen bzw. komparatistischen Zugang sowie die Methode der Oral History ergänzt. Das auf vier Jahre angelegte Projekt, in dem u.a. zwei Doktorarbeiten, eine Online-Datenbank und ein Materialienband entstehen sollen, versteht sich als Grundlagenforschung, die aus einer transnationalen Perspektive eine Neubewertung von Schweizer Verlagen als Wegbereitern der transnationalen Zirkulation von Literatur im 20. Jahrhundert verspricht.
Mehr Informationen zu dem Projekt finden Sie hier.